Spill I-III wurde fast vollständig rund um den Vulkan Ätna in Sizilien gefilmt. Das experimentelle Drei-Kanal-Video von Deborah-Joyce Holman geht von Glissants “tremblement” (“Zittern” oder “Beben”) aus.
“Die Erde bebt. Systeme des Denkens sind zerstört worden und es gibt keine geradlinigen Wege mehr. Es gibt endlose Überschwemmungen, Eruptionen, Erdbeben, Brände. Heute ist die Welt unberechenbar, und in einer solchen Welt ist eine Utopie notwendig. Aber die Utopie braucht ein bebendes Denken: Wir können nicht mit festen Vorstellungen über die Utopie sprechen. (…) Was ich als Beben bezeichne, ist weder Ungewissheit noch Angst. Es ist nicht das, was uns lähmt. Bebendes Denken ist das instinktive Gefühl, dass wir alle Kategorien des festen und imperialen Denkens ablehnen müssen. Tremblement ist ein Denken, in dem wir die Zeit verlieren können, die Zeit suchend verlieren können, in dem wir umherwandern können und in dem wir allen Systemen des Terrors, der Herrschaft und des Imperialismus die Poetik des Bebens entgegensetzen können – es erlaubt uns, mit der Welt und den Bevölkerungen der Welt wirklich in Kontakt zu sein.”
Übersetzung aus Édouard Glissant, “Archipelago Conversations”
Spill I-III bedient sich der Strategien des asemischen Schreibens, das jenseits des sprachlichen Verständnisses funktionieren kann. Asemisches Schreiben ist eine wortlose, offene Form des Schreibens, die keine spezifische Bedeutung vermittelt. Die Kamerafahrten nehmen sich Zeit für Details in der Landschaft, wandern, verlieren sich. Der Soundtrack von Yantan Ministry atmet mit der Landschaft und unseren Körpern. Stimmen erheben sich und verklingen. Diese Klänge, Bewegungen und Berührungen suchen nicht nach einem Ziel, sondern finden auf unterschiedliche Weise Kontakt zur Welt.
Die Präsenz der vulkanischen Landschaft erinnert ganz körperlich daran, dass die jetzt feste Oberfläche einst flüssig war. Sie spricht von der dauerhaften Veränderung der Landschaft durch das fliessende Überlaufen (Spill). So erinnert die Arbeit an eine weitere Idee Glissants: das archipelische Denken. Es ist intuitiv, betont das Unvorhersehbare, das Instabile. Formen und Verbindungen sind zufällig, vorübergehend, brüchig und bilden sich ständig neu.
Deborah-Joyce Holman hat für Spill I-III einen intuitiven Ansatz gewählt. Die Aspekte der Arbeit sind miteinander verwoben und werden von Körperwissen geleitet. Die Besuchenden begegnen einem audiovisuellen Gedicht durch die Verbindung von Bildern auf den Projektionsflächen und dem körperlich erlebten Klang. Spill I-III lädt dazu ein, die Beziehung zur Welt – vermittelt durch die Kamera – neu zu überdenken.
Spill I-III
2022
14min
3-Kanal-Film, 4K UHD
5.1 Surround-Sound
Von Deborah-Joyce Holman
Performer*nnen: Phoebe Collings-James, Bernice Mulenga, Mawena Yehouessi
DoP: Jim C. Nedd
Kamera: Antonio Annese
Tontechnik: Sebastiano Caceffo
Produktion: Letizia Gullo
Produktionsassistenz: Shantelle Palmer
Styling: Alice Lushima
Schnitt: Deborah-Joyce Holman
Farbkorrektur: Andrea Vavassori
Score: Yantan Ministry
Gesang: Makeda Monnet, Deborah-Joyce Holman
Feldaufnahmen: Deborah-Joyce Holman
Abmischung & Mastering: Fitzrovia Post
Konzipiert von Deborah Joyce Holman & Tarek Lakhrissi
Mit einigen Bildern in der Regie von Tarek Lakhrissi
Mit dem Gedicht Joy of the Eyes von Nisha Ramayya, veröffentlicht in States of the Body produced by Love (Ignota, 2019)
Im Auftrag des Istituto Svizzero in Koproduktion mit Confort Moderne Poitiers, Nottingham Contemporary und Shedhalle Zürich, nach einem Vorschlag von Caroline Honorien
Besonderer Dank:
Clelia Bartoli, Canan Batur, Phila Bergmann, Yann Chevallier, Gioia Dal Molin, Thea Reifler, Marged Siôn, Maxim Young
Deborah-Joyce Holman lebt und arbeitet in London, Grossbritannien, und Basel, Schweiz. Dey befasst sich in deren Arbeit mit der Beziehung zwischen populären visuellen Kulturen und Kapital sowie mit der damit verbundenen Repräsentationspolitik. Holman kontrastiert das ausbeuterische Potenzial davon, wie Bilder mit Kapital zusammenfallen, mit Ansätzen der künstlerischen und filmischen Subversion, Wiederholung und Verweigerung. Dabei verwendet dey unterschiedliche Ansätze in Medien wie Video, Skulptur und Malerei. Deren Arbeiten wurden und werden kürzlich unter anderem in der Kunsthalle Bern, Simian, Kopenhagen, Galerie Gregor Staiger, Biennale für Freiburg, Oregon Contemporary (alle 2023), Cordova, Barcelona, und Istituto Svizzero, Palermo (beide 2022) gezeigt.
Von 2020-2022 arbeitete Holman bei der East Londoner Kunstorganisation Auto Italia als Associate Director. Dey war die Gründungsdirektor*in von 1.1, einer Plattform für Nachwuchskünstler*innen in den Bereichen Kunst, Musik und textbasierte Praktiken mit einem Ausstellungsraum in Basel, Schweiz, die von 2015 bis 2020 bestand. Deborah-Joyce hat die jährlichen Gruppenausstellungen 2018 und 2019 für das Kunst- und Musikfestival Les Urbaines in Lausanne kuratiert.