Hiermit gedenken wir der Künstlerin, Forscherin, Ausstellungsmacherin und ehemaligen Kuratorin der Shedhalle, Marion von Osten.
Voller Bewunderung werfen wir einen Blick zurück auf ihre Zeit in der Shedhalle, wo sie zwischen 1996 und 1998 als Kuratorin tätig war und verschiedene Ausstellungsprojekte realisierte.
Marion von Osten gehörte zur ersten Generation Kurator*innen, die wesentlich zur programmatischen Revision der Shedhalle ab 1994 beitrugen. Diese bezog sich auf die Öffnung des kuratorischen Programms für unkonventionellere Formen des Ausstellungsmachens und die Förderung interdisziplinärer Zusammenarbeit mit diversen gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Personengruppen und Disziplinen.
Das Team setzte sich zusammen aus Renate Lorenz, Sylvia Kafehsy, Ursula Biemann und Marion von Osten, die alle eine Praxis an der Schnittstelle von Kunst, diskursivem Vorgehen und politischem Engagement verfolgten.
Die Shedhalle nahm eine explizit feministische Perspektive ein, konzentrierte sich auf das Sichtbarmachen von Arbeitsverhältnissen in der Kunstproduktion und der Suche nach kollektiven Möglichkeiten von Veränderung. Es galt – und gilt – die vorherrschenden Rollen von Kurator*in, Künstler*in und Kulturschaffender aufzubrechen.
In ihrer Zeit als Kuratorin in der Shedhalle realisierte Marion von Osten einige legendäre Ausstellungsprojekte, dazu gehören: Irene ist viele (1996), SEX&SPACE (1996), Alt.Use.Media (1997), SUPERmarkt – money/market/gender politics (1998) und MoneyNations@access (1998).
Gemeinsam ist diesen Projekten die kritische Auseinandersetzung mit hegemonialen Strukturen: Marion von Osten hat sich stets dafür stark gemacht, marginalisierten Gruppen Raum zu geben und Diskurse zu öffnen, die Strukturen von Diskriminierung und Stereotypisierung untersuchten. Dabei war ein wichtiger Ansatz das Überwinden der Grenzen zwischen Theorie und Praxis und das hybride Verständnis von Rollen und Räumen.
Die Gruppenausstellung SEX&SPACE widmete sich «Gender Spaces» – geschlechterspezifischer Zuschreibungen in räumlichen, architektonischen, urbanen, privaten und öffentlichen Verhältnissen. Marion von Osten untersuchte gemeinsam mit den beteiligten Künstler*innen, inwieweit der urbane Raum durch eine traditionell männliche, weisse Perspektive bestimmt worden ist: Wer wird in privaten und öffentlichen Räumen repräsentiert und wer wird aus den Diskussionen ausgeschlossen? Wie können soziale und kulturelle Gegenbilder dazu entwickelt werden?
Für SEX&SPACE verwandelte Marion von Osten die Shedhalle in ein Fernsehstudio, eine stereotypisierte Kulisse in der Schwebe zwischen privatem und öffentlichem Raum, in dem Normen dekonstruiert und verhandelbar wurden.
Diese Art und Weise, die Ausstellungshalle in Räume für kritische Medienpraktiken zu verwandeln, wurde in den kommenden Projekten weiter entwickelt. 1997 transformierte sie die Räumlichkeiten der Shedhalle zu einem digitalen, audiovisuellen Studio, das alternative Medienpraxen und Distributionsformen untersuchte. Und 1998 wurde in der Shedhalle eine Produktionsstätte für Fanzines, Videos und Tonaufnahmen eingerichtet. Diskurse aus der Subszene in und rund um Zürich, Selbstorganisation und Aktionismus waren dabei prägend für das Programm in der Shedhalle.
In diesem Zusammenhang lassen sich auch die Ausstellungen SUPERmarkt – money/market/gender politics (1998) und MoneyNations@access (1998) beobachten. Der Supermarkt wurde als Denkstruktur verstanden, in der ökonomiekritische Ansätze neu überdacht wurden. Es wurden postkoloniale Ansätze und Gegendarstellung zu den hegemonialen, eurozentrischen Repräsentationen entwickelt. Die Ausstellung untersuchte die ökonomisch motivierte Grenzpolitik Westeuropas. Dabei wurden Darstellungen in den Medien untersucht und künstlerisch Strategien einer alternativen, antirassistischen Medienpraxis entwickelt.
Nach ihrer Tätigkeit als Kuratorin in der Shedhalle Zürich lehrte sie als Professorin für künstlerische Praxis am Institut für Theorie der Kunst und Gestaltung in Zürich und am Institut für das künstlerische Lehramt der Wiener Akademie, als Professorin für Kunst und Kommunikation.
Ab 2014 war Marion von Osten Kuratorin und künstlerische Leiterin des Forschungs- und Ausstellungsprojekts Bauhaus Imaginista, das sich den Verflechtungen des Bauhauses und modernen Ideen rund um den Globus beschäftigte. Im Bauhaus-Jahr 2019 kamen im Haus der Kulturen der Welt in Berlin alle internationalen Stationen des Projekts in einer grossen Ausstellung zusammen.
Marion von Osten setzte wichtige Impulse, initiierte bedeutende Projekte und Ansätze, die die Praxis der Shedhalle bis heute stark prägen. Debatten um politische Handlungsunfähigkeit, die Ermächtigung vormals marginalisierter Gruppen und ökologische Nachhaltigkeit treffen nirgends so verdichtet aufeinander wie in der Kultur. Museen, Kunsthallen, Festivals und Theater sind Labore für Wandel und Testgebiete für Utopien.
Marion von Osten wird uns allen fehlen. Sie war eine Person, die sich stets für das Potential hybrider, kollaborativer Praktiken in der Kunst und Kultur starkmachte.
Eine Person, die angespornt von politischen und sozialen Fragen interdisziplinäre und transnationale Ausstellungen und Projekte initiierte, die bis heute prägen.
Ihr Schaffen wird in der Shedhalle weiterleben. Ihre Werte, ihr Denken und ihre Impulse bleiben für uns Inspirationsquelle und Vorbild für die Weiterentwicklung unserer Institution.
Das Team und der Vorstand der Shedhalle.
Archivmaterial zu Marion von Osten findet sich hier und vor Ort in der Shedhalle.
Nachrufe Ihrer Weggefährt*innen finden sich hier:
Digitales Kondolenzbuch der Akademie der bildenden Künste Wien
Fotos: Archiv der Shedhalle, Installationsansichten der Ausstellungen SEX&SPACE (1996), Alt.Use.Media (1997), SUPERmarkt – money market gender politics (1998)