Teil von ProtoZone17: Stories of those left behind, 15.11.2024-12.01.2025
required by sorrow
„Diejenigen, die übrig bleiben, werden an die Arbeit gesetzt. Sie … werden in die Ethologie derer eingeweiht, die nicht mehr sind, sowie in die Art und Weise, sie willkommen zu heißen.“
– Vinciane Despret
Diese Arbeit begann, nachdem meine Großmutter väterlicherseits sich aus der physischen Form zurückgezogen hatte. Als Möglichkeit, durch die Kunst zu trauern, knüpfte ich an eine verkörperte Praxis und an Traditionen an, die ich kenne und lebe. Ich habe die ‘Baibai Research Group’ (BBRG) gegründet, eine transdisziplinäre Plattform, die an den Schnittstellen von Spiritualität, Anzestralität und Relationalität arbeitet. BBRG widmet sich Diskursen einer Beziehung zu den Verstorbenen. Anfangspunkt ist eine Enkel*in, die gleichzeitig trauert und neugierig auf der Suche nach ihrem verlorenen Großelternteil ist. Ich wollte meine Zusammenarbeit mit ihr im Tod fortsetzen; es fühlte sich an wie das Naheliegendste, was ich tun konnte. Mein „Kummer forderte mich“ (Despret). Ich antworte immer noch.
Indem ich mir erlaubte, durchlässig zu sein, entstanden Erfahrungen, die meinen bisherigen Horizont des Denkbaren erweiterten. So sind diese Werke in Zusammenarbeit mit den Verstorbenen entstanden. Zu diesen Erfahrungen gehören: Die Verlängerung der Existenz meiner verstorbenen Großmutter, indem ich ihre persönlichen Gegenstände (einschließlich der Kompressionsstrümpfe von ihrem Sterbebett) auf Brot rieb, um Schimmelpilze zu züchten. Dies entwickelte sich weiter in der Taschentuchserie “Grandma Mould Hankies”.
Meine wertvolle, andauernde Beziehung mit Ban Kah Hiang in Singapur, einem chinesischen Händler für historische religiöse Waren, die zu einem Treffen mit Jaria Ramakisoon aus Trinidad und Tobago führte. Ramakisoon ist eine multireligiöse Person, die sich für die chinesische Ahnenverehrung begeistert und als Reaktion auf meine Arbeit YouTube-Videos drehte.
Das Geschenk einer Flasche Hirsewein vom taiwanesischen Künstler Po-Chih Huang, der den Wein von Dawan Katjadrepan erhalten hatte, was zu einem Traumbesuch meiner Urgroßmutter führte, die mir die Zutaten für die Herstellung von Traumbesuch-Bonbons verriet. Eine weitere wichtige Entwicklung war die Schaffung des ‘Ancestor Dream Visitation Repository’, einem Forschungsvorhaben, das die Traumbesuche von Ahn*innen sammelt, theoretisiert und übersetzt, um neue Vorstellungen von Abstammung, Erinnerung und Spiritualität für die lebenden Nachkommen / zukünftigen Vorfahren zu entwickeln.
Indem ich meine Toten in einem gemeinsamen Transformationsprozess mit den Lebenden willkommen heiße, hat sich mein Trauerprozess weiterentwickelt. Durch die Entfaltung meines zutiefst persönlichen, divinatorischen Prozesses öffnet dieser Werkkomplex Portale zwischen Bereichen, die die Verbindung zu den Vorfahren und unsere Beziehung zu den Verstorbenen umordnen. Dabei entstehen spirituelle Praktiken innerhalb neuer Modelle der Trauer.
“required by sorrow” besteht aus der Installation “Dream Visitation Temple: grandma mould” (2024) mit “Dream Visitation Candy (dream visitation #49)” (2024) und den Taschentüchern “Weeping Together / Grandma Mould Hankies” (2024) sowie der Videoarbeit “1955-2023” (2023), dem Poster “Baibai Basics” (2022) und der Videoserie “Ancestor Money Explained” von Jaria Ramakisoon (2023).
Salty Xi Jie Ng ist eine Künstler*in, Pädagog*in und Teil der Diaspora der tropischen Metropole Singapur, deren Vorfahren bis zur südchinesischen Küste zurückreichen. Ihre transdisziplinäre Praxis schafft einen alchemistischer Ort, an dem sie mit den Leben von Menschen sowie ihren individuellen und gemeinsamen Traumvorstellungen in einer mehrdimensionalen, intimen Umgebung zusammenarbeitet. In der Hoffnung, verborgene Selbste und Geschichten in der Verwandtschaft mit dem Nicht-Menschlichen aufzudecken, beschäftigt sie sich mit Erotik, Ahn*innen, dem Altern, den Innenwelten älterer Frauen, dem Ende des Lebens und Beziehungen zu Verstorbenen und Geistern. Gleichzeitig untersucht sie das Leben von Künstler*innen und dem, was als Kunst bezeichnet werden darf. Sie hat ein spielerisches, provokantes und zärtliches Spektrum an Arbeiten entwickelt, die sich über Kulturen und Kontexte hinweg erstrecken, sowohl auf lokaler als auch auf internationaler Ebene. Salty ist Akasha-Records-Practitioner, hat einen MFA in Kunst und sozialer Praxis und ist die Gewinner*in des Chamberlain Award 2024 für Künstler*innen der sozialen Praxis.