Agenda

19.11 - 22.11.2025

Reading With Echo – A Seminar on the Psyche

mit Denise Ferreira da Silva und Valentina Desideri - Anmeldung mail@shedhalle.ch
30.11.2025

Tour

Rundgang durch die Ausstellung mit Carla Peca
28.12.2025

Tour

Rundgang durch die Ausstellung mit den Kuratierenden

Vika Kirchenbauer

COMPASSION AND INCONVENIENCE

(Video, Installation und Buchveröffentlichung am 15.06. im Löwenbräu)

 

Alles, was heute selbstverständlich und normal erscheint, ist irgendwann einmal entstanden. COMPASSION AND INCONVENIENCE erforscht das künstlerische Feld, indem es es historisiert und einen anderen Entstehungskontext vorschlägt als den, der üblicherweise betrachtet wird. Konkret befasst sich das Essay-Performance-Video mit den ersten öffentlichen Ausstellungen zeitgenössischer Kunst in London Mitte des 18. Jahrhunderts sowie mit den Ereignissen und Umständen, die dazu führten. Historische Texte werden von einem Cast gesprochen, deren Sprechpositionen sich von denen der Autoren der Textquellen unterscheiden. Die Arbeit nutzt Performance zur Wiederholung mit einem Unterschied und thematisiert so ein komplexes Erbe, das durch die institutionalisierten Strukturen von Kunst an aktuelle Akteur*innen weitergeben wird.

 

Auf der Grundlage akribischer Archivrecherchen werden bestehende Vorstellungen von Kunst auf ihre ideologischen und materiellen Verflechtungen mit Ideen des Liberalismus und der schottischen Aufklärung sowie mit dem britischen Kolonialismus zurückgeführt. Eine oft übersehene Fürsorgeanstalt für „verlassene Kleinkinder“ wird zum Ausgangspunkt für die Gründung europäischer Kunstinstitutionen, in denen sich privatwirtschaftliche und koloniale Interessen mit Vorstellungen von Wohltätigkeit und dem Streben nach Kultiviertheit überschneiden. Begleitende Konflikte und Diskurse zeigen, wie eine Rhetorik der Demokratisierung und gleichzeitige Bestrebungen nach Klassenabgrenzung das Kunstfeld von Anfang an prägten. Die Arbeit rekonstruiert etwa, wie die damaligen Künstler das Eintrittsgeld für Ausstellungen erfanden, um diejenigen auszuschliessen, denen in ihren Augen die Fähigkeit fehlte, Kunst zu beurteilen. Damit werden implizit nicht nur Fragen nach den Kontinuitäten institutionalisierter Ausschlüsse und Formen von Gewalt aufgeworfen, sondern auch verhandelt, inwiefern das Selbstverständnis von Künstler*innen darin verstrickt ist.

 

Im Mittelpunkt der 30-minütigen Videoarbeit stehen fünf Performer*innen in farblich abgesetzten Kostümen. Diese rezitieren Texte aus der britischen Philosophie und Theologie des 18. Jahrhunderts, die diese ersten öffentlichen Kunstausstellungen umgaben, sowie aus den Protokollen, in denen die konkreten Entscheidungsprozesse festgehalten sind. Als universell proklamierte Konzepte werden auf ihren lokalen sozio-politischen Kontext zurückgeführt, wodurch Begriffe wie Geschmack und Wohltätigkeit als Voraussetzungen für die Behauptung ethnischer Überlegenheit sowie für Klassenunterdrückung deutlich werden. Die Performer*innen – alle keine weißen Männer oder aus privilegierten Schichten stammend – verkörpern nicht historische Figuren wie Adam Smith oder David Hume, sondern setzen sich mit ihren Texten und den darin vermittelten Perspektiven auseinander und oszillieren dabei zwischen Subversion und Implikation. Diese performativen Versuche verhandeln die doppelten Botschaften innerhalb der gegenwärtigen Strukturen der Kunst, deren institutionalisierter Kern von Herrschaftsgefügen und Überlegenheitsfantasien geprägt ist.

 

In Vika Kirchenbauers bisher umfangreichstem Projekt steht die in den Quellen des 18. Jahrhunderts immer wiederkehrende Betonung des Mitleids als ein Gefühl im Vordergrund, das diejenigen, die es empfinden können, moralisch adelt. Das Elend der anderen wurde nicht mehr unbedingt als ein Umstand betrachtet, den es zu beheben galt, sondern als eine Gelegenheit, höhere moralische Gefühle zu empfinden – eine Konstellation, in der Kunst eine wichtige Rolle spielte. Doch wie sich herausstellt, wird es dem mitfühlenden Subjekt schnell unangenehm, wenn diejenigen, die solch erhabenen Gefühle erwecken, den ihnen zugedachten Platz verlassen. Sobald nämlich das rhetorisch angesprochene “Publikum” tatsächlich auftaucht und seine Meinung kundtut, beschwert sich – wie die Arbeit zeigt – eine aufstrebende künstlerische Elite über die Unannehmlichkeit. Entgegen der weit verbreiteten Annahme, dass bildende Kunst schlichtweg nicht für alle Gesellschaftsschichten von Interesse sei, zeigt sich, dass anfangs tatsächlich ein starkes, schichtenübergreifendes Interesse bestand. Dann aber wurden konkrete Maßnahmen ergriffen, um den Zugang zu beschränken und die Armen von der Kunst fernzuhalten, während sich gleichzeitig das Wissen über Kunst als soziale Währung etablierte.

 

Teil von ProtoZone19: Ruptures \ Reliances, 23.05.-03.08.2025

 

 

Untersützt durch das ifa – Institut für Auslandsbeziehungen

 

Vika Kirchenbauer ist eine in Berlin lebende Künstlerin, Autorin und Musikproduzentin. Mit besonderem Fokus auf affektive Subjektbildung untersucht sie die sichtbaren und unsichtbaren Erscheinungsformen von Gewalt, und reflektiert dabei die Umstände, unter denen Subjekte in gesellschaftliche Machtstrukturen verwickelt und innerhalb dieser situiert sind. In umfassenden Einzelausstellungen wurde Kirchenbauers Arbeit im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf; sowie im Kunstverein Kevin Space, Wien; präsentiert. Ihre Videos und Installationen wurden in Gruppenausstellungen und Screenings u. a. bei d/p, Seoul, im Tainan Art Museum, Taiwan, in der Whitechapel Gallery, London, in der Kunsthal Charlottenborg, Kopenhagen, bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin, beim New York Film Festival und beim Toronto International Film Festival gezeigt. Bei Mousse Publishing ist ihre erste Monographie erschienen, die Essays und Arbeiten von 2012-2022 vereint. Eine zweite Monographie mit dem Titel Compassion and Inconvenience erscheint in Kürze beim selben Verlag. Seit 2022 ist sie zudem Professorin für Freie Kunst an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig.

 

++ Sonntag, 15.06.25, 12:00

Compassion and Inconvenience (Buchveröffentlichung)

im schwarzescafé Luma Westbau

– beschränkte Platzzahl, bitte hier anmelden:

Shedhalle – Vika Kirchenbauer

COMPASSION AND INCONVENIENCE, Vika Kirchenbauer, 2024, video, 30min, © Vika Kirchenbauer & VG Bild Kunst

Shedhalle – Vika Kirchenbauer

COMPASSION AND INCONVENIENCE, Vika Kirchenbauer, 2024, video, 30min, © Vika Kirchenbauer & VG Bild Kunst

Shedhalle – Vika Kirchenbauer

COMPASSION AND INCONVENIENCE, Vika Kirchenbauer, 2024, video, 30min, © Vika Kirchenbauer & VG Bild Kunst